Prof. Dr. Alexander Braun arbeitet an der Universität St.Gallen am Institut für Versicherungswirtschaft. Im Interview verrät er uns seine Einschätzung zur Zukunft des Rentensystems und gibt den Neueintretenden seine Empfehlung zur Altersvorsorge.
Ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Braucht die Schweiz ein neues Rentensystem?
Alexander Braun: Nein, denn das schweizerische 3-Säulen-Modell macht in der Form, in der es angedacht wurde, durchaus Sinn. Die Mischung der unterschiedlichen Finanzierungsformen erlaubt Differenzierung und Gestaltungsspielräume. Im Vergleich beispielsweise zum deutschen System baut das 3-Säulen-Modell weniger auf das Umlageverfahren und ist somit weniger stark anfällig für den demographischen Wandel. Dennoch steht auch das Schweizerische Modell in der Zukunft vor grossen Herausforderungen.
Wenn das System an sich richtig ist – wo sehen Sie dann die derzeitigen Umsetzungsschwierigkeiten?
Braun: Einige Vorsorgeeinrichtungen in der 2. Säule müssen bereits heute Zusatzbeiträge erheben, um Verrentungsverluste auszugleichen. Dies entspricht einer impliziten Umlagefinanzierung und widerspricht der ursprünglichen Konzeption der 2. Säule, die ja auf dem Kapitaldeckungsverfahren fusst. Wenn zentrale Parameter nicht angepasst werden, so ist in Zukunft aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung der Gesellschaft mit noch höheren Deckungslücken zu rechnen. Vor allem der Umwandlungssatz zur Umrechnung des Altersguthabens in Rentenleistungen ist zu hoch.
Was ist die Folge davon?
Braun: Daraus ergeben sich die angesprochenen Deckungslücken, da der Barwert der zukünftigen Ansprüche grösser ist als der angesparte Kapitalstock. Zudem gerät das Kapitaldeckungsverfahren der 2. Säule aufgrund des Niedrigzinsumfeldes zunehmend unter Druck. Anpassungen der Parameter werden jedoch künftig noch schwieriger werden, da sie vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft politisch nicht opportun sind.
Welche Lösungsmöglichkeiten ergeben sich Ihrer Meinung nach?
Braun: Es stehen einige Vorschläge zur Entlastung des derzeitigen schweizerischen Systems im Raum. Ein vielversprechender Lösungsansatz ist die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, nach skandinavischem Vorbild. Dieser Mechanismus beugt dem Problem der politischen Durchsetzbarkeit und dem daraus womöglich resultierenden Generationenkonflikt vor, da er die Anpassungen vor der politischen Beschlussfassung löst. Eine solche Automatisierung wäre durchaus auch für Anpassungen von Umwandlungssatz und BVG-Zins denkbar.
Würde diese Massnahme genügen?
Braun: Nein, parallel dazu sollte über eine progressive Familien- und Einwanderungspolitik nachgedacht und die Gesellschaft für die Wichtigkeit der privaten Vorsorge sensibilisiert werden. Weitere Möglichkeiten sind Anreize für eine Erwerbstätigkeit über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus sowie die Stützung des Systems durch Zuschüsse von Steuermitteln, wie dies in Deutschland passiert.
Zum Abschluss: Was ist Ihre Empfehlung für junge Menschen?
Braun: Auf jeden Fall sollten sie sich ab dem Beginn des Erwerbslebens mit der Altersvorsorge beschäftigen. Je früher ich die Deckungslücke erkenne, desto leichter kann ich sie noch durch die 3. Säule füllen. Aufgrund des Zinseszinseffektes ist es sehr schwer, verlorene Jahre aufzuholen. Deshalb gilt die Devise «früh anfangen», auch wenn zunächst nur kleinere Beträge für die Altersvorsorge entbehrt werden können. Darüber hinaus sollte man sich mit dem Thema Risiko befassen. Sollten die Zinsen noch länger niedrig bleiben, so führt kaum ein Weg an renditestärkeren Anlageklassen wie beispielsweise Aktien vorbei, die selbstverständlich risikobehaftet sind. Wer breit diversifiziert und einen langfristigen Anlagehorizont hat, kann von einer kapitalmarktorientierten Strategie für die Altersvorsorge profitieren.
(Interview: Tabea Wich)